… Oh, hallo, hab dich erst gar nicht gesehen. Stehst du schon lange hier? Ja? Das tut mir leid. Weißt du, bei dem kalten Wetter bin ich nicht mehr so häufig draußen, meine Knochen machen das nicht so mit.
Ich merk schon, du bist von der ruhigen Sorte.
Ah, ich verstehe, ich hatte mich gar nicht vorgestellt: Benita, mein Name und vermutlich wunderst du dich, dass eine Katze reden kann. Tja, weißt du, ich bin mit den anderen hier schon so lange unter Menschen, dass ich mich manchmal frage, warum keiner von denen unsere Sprache spricht, aber nun ja, ich denke, einer muss ja den ersten Schritt auf dieser Reise gehen.
Wie dem auch sei, willkommen auf der Katzenstation hier in Rüdersdorf. Tritt einfach durchs Tor und falls du erwartest, dass du wie bei einem großen berühmten Film über einen Dinopark von Konzertmusik begleitet wirst, so muss ich dich enttäuschen: Urheberrecht, du verstehst, aber stell es dir am besten vor, während ich dich ein wenig begleite. Folge mir einfach auf dem Weg durch die verschiedenen, nun, Habitate? Oder einfach nur „Häuser“, denn es sind ja welche: Links von dir teilen sich mehrere Katzen jeweils ein kleines Häuschen nebst Gartengrundstück (die Pflege machen andere, das Düngen übernehmen wir). Weiter vorne ist dann das Büro der Station und letztlich auch meines, da gehen wir jetzt gemeinsam hin. Dort ist dann auch die Quarantänestation für die ganz Kleinen. Die drücken sich gern ans Fenster, aber die sollen erst mal in Ruhe in dieser Welt ankommen, alles zu seiner Zeit.
Apropos „Zeit“: In letzter Zeit ist es hier richtig voll geworden. Manchmal weiß ich gar nicht mehr, wohin ich tapsen soll. Wir platzen wirklich aus allen Nähten, die Katzenwohnungsnot ist groß. Manche der Pfleger hier – ich betrachte sie mehr als mein Personal, das wissen sie aber auch selbst schon – nehmen manche meiner Kumpels hier zur Pflege mit nach Hause. Solide Menschen, wirklich, mag sie alle. Haben auch ein Auge auf mich, seit meiner Verletzung bin ich nicht mehr so beweglich. Dafür passe ich hier auf den Laden auf, sorge für Ruhe: „Hey, Jungs und Mädels, räumt mal auf, Benita kommt“, höre ich es oft nuschelnd aus den Ecken. Niedlich, aber den Respekt wollte ich nicht, der wird mir hier sozusagen auf Samtpfoten überreicht, weil ich viel für meine Kitten mache.
Cat-astrophen, nenne ich sie manchmal, wenn sie wieder chaotisch werden. Wir sind eben alle anders. Hier dürfen wir das aber auch sein, auch wenn wir jeden Tag mehr und mehr werden. Ohne die Spenden aller, tja, wer weiß wo wir jetzt wären.
Du willst auch helfen? Gute Einstellung, schüttel mir die Pfote!
Damit kannst du direkt anfangen, denn ich würde gerne verhindern, dass wir hier noch mehr werden. Wir wissen echt nicht mehr wohin. Ich hab letztens eine Katze gesehen, die wollte ins Haus: Ging nicht, die hat sich einreihen müssen zu einer Hausbesichtigung, weil wir so viele Anwerber haben. Verrückte Zeiten, kannst du glauben, und das Letzte, was eine Katze macht, ist sich mit Schlangen zu beschäftigen, geschweige denn davon, sich in eine einzureihen.
Dabei sind wir uns alle einig, dass das Problem auch ein Stück weit menschengemacht ist. Hört von denen keiner gern, versteh ich. Aber wir Katzen sind eben auch keine Menschen: Wenn wir können, vermehren wir uns. Das macht das Problem nur größer, wortwörtlich.
Und da kommt deine Hilfe ins Spiel. Warte, halt mal kurz die Tür auf, ja? Lass uns mal in mein Büro rein, mir wird das zu kalt. Nimm dir einen Stuhl, ich springe hier auf den Kratzbaum, dann reden wir mal auf Augenhöhe…
… so. Jetzt aber. Wo waren wir? Ah, deine Hilfe.
Sehr gut.
Ich mauz es mal so: Da draußen verzichten Menschen darauf, Katzen zu kastrieren. Versteh ich nicht, versteht keiner: Kostet kaum was, geht fix, ist für den Arzt unkomplizierter als eine Tüte Katzenfutter zu öffnen.
Der kleine Eingriff hat aber gewaltige Vorteile: Wir haben hier weniger Wohnungsnot. So eine Katzenmutter kann locker flockig mit einem Wurf 4 bis 6 Jungen auswerfen – jedes Halbjahr. Mal für dich zum Rechnen: Das sind vielleicht 12 Katzen im ersten Jahr. Ab dem fünften Monat sind wir geschlechtsreif – in 7 Jahren hat damit eine Katze allein dafür gesorgt, dass 420 000 Katzen zur Welt kommen. Eine. Katze. 420 000 Fellnasen.
Ich habe ja nichts gegen Freunde, aber wenn jeder Katzenbesitzer sich kümmert, sollte die strategische Versorgung mit Katzenfutter und Katzenklos gesichert sein. Falls nicht – und wir sind jetzt schon immer wieder auf Spenden angewiesen – wird das eine größere Wohnungsnot als bei euch Zweibeinern. Von denen weiß ich ja, dass die ja schon Probleme haben, eine Wohnung zu finden – und ihr werft nicht mal 12 Kinder pro Jahr pro Frau. Ja dann erst viel Spaß mit der Armee an Katzennachwuchs. Wir kriegen kein Kitten-Geld!
Aber mal weg von den ganzen Zahlen, liegt mir eh nicht. Fakt ist: Je mehr Katzen kastriert werden, desto weniger Probleme – nicht nur wegen der Vermehrung: Weniger Krankheiten wären die Folge. Die Mädels haben ein geringeres Risiko einer entzündeten Gebärmutter, die Männer weniger Hodenkrebs und auch weniger Ärger mit der Prostata – ja, haben wir auch, jetzt nicht neidisch werden. Weniger Hormone, weniger hormonell bedingte Krankheiten.
Überhaupt, über eine Sache haben wir gar nicht gemauzt… Hör dich mal um. Ganz genau…
Da, hörst du es?
Du hörst nichts?
Gut, das ist auch eine Folge: Kastrierte Katzen stressen sich weniger, weniger Revierkämpfe und insgesamt geringerer Wandertrieb. Deine Möbel werden’s dir übrigens danken, denn dann markieren wir weniger – außer du willst immer wieder ins Möbelhaus, aber bitte, jeder wie er mag. Doch dass wir Weibchen weniger rollig sind und damit auch seltener stressen, das kannst du dir im Möbelhaus nicht kaufen. Deine Ohren werden’s dir danken.
Das sind jetzt nur ein paar der Vorteile, aber wenn du das alles hier siehst, dann kannst du echt direkt etwas Gutes tun, wenn du nur rausgehst und verkündest, dass die Katzenbesitzer zum Arzt gehen und den Eingriff durchführen lassen – hey, ohne Spaß: Wenn wir hier noch weiter anwachsen, übernehmen wir bald den Laden und dann müsst IHR auf UNS warten, dass wir euch Essen geben. Das wollt ihr nicht, denn wir sind dann mehr mit unserem Nachwuchs beschäftigt, denn der will auch Futter und nicht zu knapp. Überhaupt, wo bleibt meines?! Ich hatte doch vor einer Stunde bereits… Ach Mensch, das zieht sich wieder.
Wie dem auch sei, ich bin dann mal raus, noch eine Runde das Areal prüfen. Wenn du magst, kannst du dich ja noch eine Weile umschauen. Wenn du gehst, wärst du bitte so lieb, die Raptoren zu füttern? Ist da hinten, beim Loch im Gehege.
Das war ein Spaß! Bitte, wir haben keine Raptoren hier, das ist immer noch kein Dinopark. Aber füttern darfst du sie schon, also, trau dich. Wir mögen helfende Hände – vor allem, wenn sie Futter mitbringen. So und entschuldige bitte, ich muss weiter, das prüft sich hier nicht alles von allein. Danke aber für das Gespräch, auch wenn du sehr ruhig warst, aber so hatte ich mehr Maus-Anteil. Auch nicht verkehrt.
Text: Fortunato